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Landrat Classen 1928-1944

Erwin Classen

 

* 5. November 1889 Aachen +8. Februar 1944 Heidelberg

 

Partei: Zentrum (Mitgliedschaft nicht klar belegt), ab 24. April 1933 NSDAP

 

Kaiser Karls-Gymnasium in Aachen, Reifeprüfung 1908,

Studium der Rechtswissenschaften an der Technischen Hochschule Aachen bzw. an der Universität Bonn (1908-1911):

 29.12.1911 Gerichtsreferendar (5.1.1912 Vereidigung),

24.4.1914 Regierungsreferendar (Prüfung),

anschließend bei der Regierung bzw. beim Oberpräsidium Posen,

von 1915 bis 1919 vertretungsweise Verwaltung des Landratsamtes Samter (heute Szamotuły in Polen),

8.3.1919 Regierungsassistent (Prüfung),

vom 1.5. bis zum 30.6.1919 bei der Waffenstillstandskommission,

 1.7 .1919 preußisches Innenministerium,
20.12.1919 Regierung Aachen,

9.2.1920 kommissarischer Landrat des Landkreises Heinsberg,

16.7.1920 definitive Ernennung,

vom 8.6.1923 bis zum 13.3.1924 Ausweisung durch
die Interalliierte Rheinlandkommission bzw. Inhaftierung,

9.5.1928 kommissarischer Landrat des Landkreises Aachen
 (21.5. Diensteinführung), 2.8. Wahl, 16.8. definitive Bestallung,
am 8. Februar 1944 im Dienst verstorben

 

Landrat des Landkreises Aachen 16.08.1928 bis 08.02.1944
 

Besonderheiten:

Der plötzliche Tod des Landrates Pütz fiel in eine Zeit allgemeiner wirtschaftlicher Schwierigkeiten in Preußen. Um die Kosten der Verwaltung zu reduzieren wurden Überlegungen zu einer umfangreichen kommunalen Neugliederung angestellt. Da deshalb damit gerechnet wurde, dass einige Landräte im Regierungsbezirk ihre Stellung verlieren würden beauftragte die Regierung, zunächst offiziell als „Zwischenlösung“, den Landrat von Heinsberg, Oskar Erwin Alexander Classen zum Mai 1928 mit der Leitung der Aachener Behörde. Da jedoch Landrat Classen in Heinsberg die Vorbereitungen für die bevorstehende Verschmelzung des Landkreises Heinsberg mit dem Landkreis Geilenkirchen treffen musste, konnte er seinem Amt in Aachen nur eingeschränkt nachkommen. Interimsmäßig übernahm Dr. Friedrich Leopold Janssen (Vater des späteren Kreiskämmerers und Oberkreisdirektors) die Amtsgeschäfte.

Die im August 1928 anstehende endgültige Besetzung des Landratpostens führte zu Unstimmigkeiten zwischen dem Kreistag und der Regierung bzw. dem Staatsministerium. Schließlich sprach sich der der Kreistag am 02.08.1928 mit Ausnahme der sieben KPD-Abgeordneten für die endgültige Berufung Classens aus.

Bei Amtsantritt im Landratsamt Aachen befand sich der Landkreis in einer schwierigen Situation. Die Verschuldung hatte einen Höhepunkt erreicht und die kommunale Neugliederung erhitzte die Gemüter im Kreis. Landrat Classen leitete umgehend Sparmaßnahmen ein, wobei diese stets überlegt erfolgten.

Am 21. Oktober 1930 kam es in Alsdorf zu einer der größten deutschen Grubenkatastrophen überhaupt. Durch eine Schlagwetterexplosion im Eduardschacht auf der Grube Anna II kamen 270 Bergleute ums Leben. Landrat Classen startete daraufhin eine Hilfsaktion und rief die Bewohner im Landkreis zu Spenden auf. 

Landrat Classen förderte während seiner Amtszeit die regionale Heimatkunde, so wurde er Anfang der 30er Jahre der Vorsitzende des neu gegründeten Heimatvereins des Landkreises Aachen, der ab 1931 die Heimatblätter des Landkreises Aachen herausgab. 1935 wurde in der ehemaligen Abtei in Kornelimünster das Kreisheimatmuseum eingerichtet, welches leider in den Kriegsjahren zahlreiche wertvolle Exponate verlor und in den 70er Jahren endgültig aufgelöst wurde. Da der Landkreis über eine überdurchschnittliche Fülle an Industriebeteiligungen verfügte, war Landrat Classen neben seiner Landratstätigkeit nebenamtlich sehr stark belastet.

Anfang der 30er Jahre war die Gebietsreform in der Aachener Region ein Dauerthema. Bereits 1922 hatte die Stadt Aachen Erweiterungswünsche geäußert, die 1928 in einem Gutachten im Auftrag des Regierungspräsidenten aufgegriffen wurden und u. a. die Auskreisung der Gemeinden Laurensberg, Haaren, Teilen der Gemeinde Eilendorf, Walheim, Würselen, Weiden, Brand, Richterich und Kohlscheid vorschlug sowie die Zusammenlegung einiger Gebietskörperschaften im Kreisgebiet empfahl. Die Gemeinde Eilendorf, die aufgrund der Schließung des Hüttenwerkes finanziell schwer angeschlagen war, stimmte am 10. Juli 1930 dem Vorschlag des Regierungspräsidenten zur Auflösung und Eingliederung an die Stadt Aachen und die Stadt Stolberg (Ortsteil Atsch) zu. Da der Aachener Stadtrat aber die finanziellen Lasten nicht tragen wollte, blieb vorerst alles beim Alten. In Merkstein, das mit Herzogenrath vereinigt werden sollte, entbrannte 1930 eine große Auseinandersetzung. Argument der Merksteiner war, dass sich das „klamme“ Herzogenrath auf Kosten Merksteins sanieren wolle. 1931 wurden die Eingemeindungsverhandlungen auf Anweisung des Innenministeriums zurückgestellt, aber bereits 1932 schaffte das Innenministerium neue Tatsachen. Zum 1. Oktober 1932 wurden die Nachbarkreise Heinsberg und Geilenkirchen zum Landkreis Geilenkirchen-Heinsberg zusammengeführt. Dem Landkreis Aachen wurde die bisher zum Amt Siersdorf (Landkreis Jülich) gehörende Landgemeinde Schaufenberg eingegliedert, des Weiteren wurden die im Amt Nothberg zusammengefassten Landgemeinden, die bisher zum Landkreis Düren gehört hatten, dem Landkreis Aachen eingegliedert. Die Frage der Eingliederung von Gemeinden in die Stadt Aachen war kein Thema mehr, Landrat Classen zeigte sich in der Kreistagssitzung vom 26.08.1932 aufgrund dieser Entwicklung erleichtert, war aber mit dem insgesamten Ausgang der Neugliederung nicht zufrieden . Am 10. April 1930 wurde eine Flughafen GmbH für den Feldflugplatz Merzbrück in der Gemeinde Broichweiden gegründet. Daran beteiligten sich neben dem Landkreis auch die Stadt Aachen und der Landkreis Düren. Nach einem Ausbau des Flugplatzes nahm die Lufthansa am 1. Mai 1931 eine Fluglinie Aachen-Köln mit einer Junkers G 24 auf. Nach der Macherübernahme der Nationalsozialisten am 31. Januar 1933 wurde das im Verlauf der letzten Jahre gewachsene System der demokratischen Selbstverwaltung des Landkreises und der Gemeinden ausgeschaltet. In den ersten Monaten gelang es der NSDAP in den meisten Gemeinden des Landkreises die Schaltstellen der kommunalen Verwaltung unter ihre Kontrolle zu bringen. Eine regelrechte Absetzungswelle setzte bereits Mitte des Jahres 1933 ein, sodass bis Ende des Jahres 12 von insgesamt 19 Bürgermeistern im Landkreis ausgetauscht wurden. Aber nicht nur die kommunalen Veraltungschefs waren betroffen, auch die kommunalen Parlamente und die Instanz des Landkreises mussten sich willkürlichen Eingriffen unterziehen. Per Gesetz wurden am 17.07.1933 sämtliche Zuständigkeiten des Kreistages auf die Kreisausschüsse übertragen, doch auch der Kreisausschuss verkümmerte in der Folge zu einem reinen Anhörungsorgan. Mit der „Deutschen Gemeindeordnung“, die am 30. Januar 1935 eingeführt wurde, wurde das „Führerprinzip“ in das Gemeindeverfassungsrecht eingeführt, und die Position des Verwaltungschefs, ob  Landrat oder Bürgermeister, wurde weiter gestärkt. 1939 verlor der Kreisausschuss sein Anhörungsrecht und das Protokollbuch wurde endgültig geschlossen.  

Im Gegensatz zu den Verwaltungsleitern der meisten Kommunen im Landkreis und den übrigen Landkreisen im Aachener Regierungsbezirk überstand Landrat Classen die Säuberungswelle des Jahres 1933 unbeschadet. Wahrscheinlich verdankte er dies seinen überlegenen Verwaltungsfähigkeiten und seiner guten Anpassungsfähigkeit.  Classen „arrangierte“ sich mit der Partei, die ihren Einfluss auf die Kreispolitik stetig ausweitete. Obwohl Classen vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten dem Zentrum nahegestanden hatte, trat er am 24. April 1933 gemeinsam mit seinem Stellvertreter Dr. Schramm der NSDAP bei.

Wie in Aufzeichnungen aus den 60er Jahren zu lesen ist, begegnete Landrat Classen dem Drängen und Fordern der NSDAP-Kreisleitung taktisch souverän und mit einer gewissen Gelassenheit, auch die Demonstration seiner „neugewonnen“ Macht lag Landrat Classen nicht. Er soll der „ausgereifte Mensch der früheren Jahre“ geblieben sein.

1934 wurde eine wichtige Entscheidung zur weiteren Sicherung der Wasserversorgung im Landkreis Aachen getroffen. Das Wasserwerk des Landkreises Aachen wurde Mitglied des Wasserverbandes Schwammenauel und am 21. März konnte mit dem Bau der Kalltalsperre begonnen werden. Im Mai 1936 wurde der Zweckverband für die Gemeindeverwaltungsschule gegründet in dem die 1921 gegründete Verwaltungsschule aufging.

1938 wurde die landwirtschaftliche und gartenbauliche Berufsschule des Kreises ins Leben gerufen. Sie war vorgesehen für Jugendliche, die in der Land- und Forstwirtschaft, in Haushalten von Gutsbetrieben und in Gartenbaubetrieben tätig waren. 

Am 23. Mai 1938 wurde dem Landkreis Aachen durch das Preußische Staatsministerium die Führung eines Wappens genehmigt. Das Wappen des Landkreises Aachen (und heutige Wappen der StädteRegion Aachen) setzt sich zusammen aus dem schwarzen Löwen der Herzöge von Jülich (aus Platzgründen „schreitend“ dargestellt) und dem Wappen der ehemaligen Stadt Burtscheid, welche einen weißen Schwan in einem Hirschgeweih auf dem Grind stehend führt. Das Wappen der Stadt Burtscheid wiederum beruht auf demjenigen des alten Geschlechtes der Herren und Grafen von Waestenraedt.

Zum 01. Januar 1942 wurde die Rheinische Elektrizitäts- und Kleinbahn-AG (REKA) mit der Aachener Kleinbahn-Gesellschaft (AKG) zur Aachener Straßenbahn- und Energieversorgungs-AG (ASEAG) vereinigt. 

Kurz bevor die Kampfhandlungen in Polen begannen, regelte ein „Führer“-Erlaß vom 28.08.1939 eine tiefgreifende Umstellung der Verwaltungsarbeit in den Kreis- und den Kommunalverwaltungen. Dabei sollte die Verwaltung das Schwergewicht ihrer Handlungen auf kriegswichtige Aufgaben legen. Städte und Gemeinden richteten unter anderem Ernährungs- und Wirtschaftsstellen ein und hatten für den Luftschutz Sorge zu tragen. Der Landrat wurde unter anderem als Feststellungsbehörde für die Regelung von Kriegsschäden zuständig. Problematisch wirkte sich die unbefriedigende Versorgung mit Dienstpersonal während des Krieges aus. Durch Einberufungen und Versetzung in besetzte Gebiete fehlten in Kreis- und Gemeindeverwaltungen zahlreiche Dienstkräfte. Der letzte erhaltene Stellenplan aus dem Jahr 1942 weist für die Kreiskommunalverwaltung, ohne die staatliche Abteilung des Landratsamtes, 53 Beamte, 1 Dauerangestellten, 112 Angestellte, 35 Kriegsaushilfen aus. Besonders die hohe Zahl von Kriegsaushilfen verdeutlicht den Mangel an Fachkräften. 

Noch bevor in der zweiten Jahreshälfte 1944 Bombenangriffe und Erdkämpfe auch im Gebiet des Landkreises häufiger wurden, verstarb Landrat Classen am 8. Februar 1944 in Heidelberg nach einer schweren Krankheit. Die Amtsgeschäfte übernahm vertretungsweise Ministerialrat Dr. Hermann Heerdt, der den Arbeitsanfall kaum bewältigen konnte und vergeblich auf Unterstützung wartete. Eine funktionierende Verwaltung aufrechtzuhalten wurde ab Mitte des Jahres 1944 immer schwieriger. Bereits am 14. Juli 1943 war der Vorderbau des Kreishauses an der Zollernstraße 10 bei einem Bombenangriff beschädigt worden und die oberen Stockwerke waren ausgebrannt. Bei einem zweiten Luftangriff am 11. April 1944 wurde das Amtsgebäude schließlich komplett zerstört. Neun Personen kamen insgesamt bei diesem schweren Luftangriff ums Leben, der überwiegende Teil gehörte der Freiwilligen Feuerwehr Würselen an, die der Brandwache des Kreishauses angehörte. Die Kreisverwaltung fand in den Räumen des Kreisheimatmuseums in der alten Abtei in Kornelimünster notdürftig eine Unterkunft. Das Gesundheitsamt wurde in die Gebäude des Kreisaltersheims in Eschweiler verlegt.

Am 11. September 1944 wurde der offizielle Evakuierungsbefehl für das Aachener Stadtgebiet ausgesprochen, im Landkreis wurden die unmittelbar an der Bunkerlinie gelegenen Ortsteile von Kohlscheid und Merkstein geräumt. Am 12. September rückten bei Roetgen (Landkreis Monschau) erstmals US-Einheiten auf deutsches Gebiet vor. Am 14. September wurden die Gemeinden Kornelimünster und Brand, am 15. September Eilendorf und Teile der Gemeinde Gressenich eingenommen. Bereits am 13. September hatte die NSDAP-Kreisleitung und zahlreiche Parteifunktionäre den Landkreis verlassen und sich in Köln gesammelt. Die Verwaltungsbehörden im Kreisgebiet verließen ebenfalls ihren Wirkungsbereich. Nur in Stolberg und Alsdorf verblieben die Bürgermeister in ihrem Amtsbereich. Die Gemeinde- und Stadtverwaltungen wurden mit Akten und Dienstpersonal ins Siegerland verlegt, beispielsweise kam die Richtericher Gemeindeverwaltung in Eitorf (Sieg) und die Herzogenrather Stadtverwaltung in Oelde unter, die Kreisverwaltung wurde nach Dillenburg (Sieg) verlegt. Nach und nach wurde das Kreisgebiet von US-Einheiten eingenommen. Als letzte Stadt im Kreisgebiet kam Eschweiler am 22. November 1944 unter alliierte Befehlsgewalt.

Die Auswirkungen der Kriegshandlungen auf den Landkreis waren verheerend. Die Produktionsstätten der Industrie im nördlichen und südlichen Kreisgebiet waren teilweise vernichtet, größtenteils unbrauchbar; die Lage der Landwirtschaft war außerordentlich schlecht, Bauernhöfe zerstört, der Viehbestand strak dezimiert, das Land durch Bombentrichter und Panzergräben vielerorts nicht nutzbar. Nur noch etwa 50 % des Wohnraumes waren noch vorhanden und auch die Körperschaft Aachen-Land war nicht mehr funktionsfähig. Die Arbeit der in Dillenburg evakuierten Kreisverwaltung um Ministerialrat Dr. Hermann Heerdt beschränkte sich nur noch auf die Verwaltung der geretteten Akten und die vorhandenen Bestände der Kreiskasse.

 

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